Vergesslichkeit ist ein alltägliches Phänomen: Man betritt einen Raum und weiß nicht mehr, warum, verliert Gegenstände oder vergisst Namen. Lange Zeit galt das als harmloses Zeichen des Alterns – doch neue Erkenntnisse stellen diese Annahme infrage. Eine im Fachjournal Neurology veröffentlichte Studie zeigt, dass kognitive Beeinträchtigungen nicht mehr nur ältere Menschen betreffen, sondern zunehmend auch jüngere Erwachsene. Die Website Imowell.de berichtet unter Berufung auf Мorgenpost.
Studienautor Dr. Adam de Havenon von der Yale School of Medicine erklärte: „Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen gehören heute zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen unter Erwachsenen in den USA.“ Soziale und wirtschaftliche Faktoren, so de Havenon, spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Kognitive Einschränkungen: Zahlen, die beunruhigen
Für die Analyse wurden über 4,5 Millionen Antworten amerikanischer Teilnehmer aus den Jahren 2013 bis 2023 ausgewertet. Die Befragten gaben an, ob sie Schwierigkeiten mit Konzentration, Gedächtnis oder Entscheidungsfindung aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands hatten. Wer dies bejahte, wurde als kognitiv beeinträchtigt eingestuft.
Das Ergebnis ist alarmierend: Der Anteil der Erwachsenen mit solchen Problemen stieg von 5,3 % im Jahr 2013 auf 7,4 % im Jahr 2023. Besonders deutlich war der Anstieg bei Menschen unter 40 Jahren – von 5,1 % auf 9,7 %. In der Altersgruppe über 70 Jahre hingegen sank der Wert leicht. Dr. de Havenon bezeichnete diese Entwicklung als „unerwartet und besorgniserregend“.
Soziale Schicht und Bildung als Risikofaktoren
Die Studie zeigt außerdem einen klaren Zusammenhang zwischen kognitiven Problemen und sozialem Status. Personen mit niedrigem Einkommen berichteten wesentlich häufiger über Gedächtnisschwierigkeiten als wohlhabendere Befragte. In Haushalten mit einem Einkommen unter 35 000 US-Dollar pro Jahr stieg der Anteil der Betroffenen von 8,8 % auf 12,6 %, während er in Haushalten mit über 75 000 US-Dollar nur von 1,8 % auf 3,9 % zunahm.
Auch das Bildungsniveau spielt eine Rolle. Unter Personen ohne Schulabschluss stieg der Anteil von 11,1 % auf 14,3 %, während er bei Hochschulabsolventen nur von 2,1 % auf 3,6 % zunahm. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass Bildung und Zugang zu Gesundheitsversorgung maßgeblich die kognitive Belastbarkeit beeinflussen.
Ethnische Unterschiede: Wer ist besonders betroffen?
Auch ethnische Unterschiede wurden untersucht. Am stärksten betroffen sind indigene Amerikaner und Einwohner Alaskas – hier stieg der Anteil der Betroffenen von 7,5 % auf 11,2 %. Bei hispanischen Erwachsenen erhöhte sich der Wert von 6,8 % auf 9,9 %, bei Schwarzen von 7,3 % auf 8,2 %. Unter weißen Erwachsenen nahm der Anteil von 4,5 % auf 6,3 % zu, bei Asiaten von 3,9 % auf 4,8 %.
Laut de Havenon verdeutlichen diese Daten, dass soziale Ungleichheit und ökonomische Benachteiligung direkte Auswirkungen auf die Gehirngesundheit haben. Menschen in strukturell schwächeren Lebensverhältnissen sind stärker von kognitiven Problemen betroffen.
Mögliche Ursachen für den Anstieg von Gedächtnisstörungen
Die Forscher betonen, dass die wachsende Häufigkeit kognitiver Störungen nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen ist. Zu den möglichen Faktoren zählen psychischer Stress, die Folgen der COVID-19-Pandemie, Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt und die ständige Reizüberflutung durch digitale Medien.
Junge Menschen sprechen heute offener über ihr psychisches Wohlbefinden, was ebenfalls zu einer höheren Erfassungsrate führen kann. Hinzu kommt die digitale Überlastung: Dauerhafte Stimulation durch Smartphones, soziale Netzwerke und Online-Arbeit mindert die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und Informationen zu verarbeiten.
Dr. de Havenon betonte die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die langfristigen Folgen dieser Entwicklung besser zu verstehen. „Der starke Anstieg kognitiver Beeinträchtigungen unter jungen Menschen ist ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen“, so der Forscher.
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