Lange galt Ungarn als eine Erfolgsgeschichte Europas – ein Land, das nach dem Kommunismus Demokratie und Modernisierung erfolgreich umgesetzt hat. Doch unter Viktor Orbán hat sich das Bild gewandelt. Heute steht das Land zwischen Ost und West, zwischen Brüssel und Moskau, zwischen Demokratie und Machtkonzentration.
Auf den ersten Blick scheint Ungarn stabil und wohlhabend. Neue Straßen, moderne Stadien und renovierte Plätze schmücken Budapest und andere Städte. Doch hinter dieser Fassade steckt eine unbequeme Wahrheit: Ein großer Teil dieser Projekte wurde mit EU-Geldern finanziert – und nicht immer transparent verwaltet.
Ungarn erhält jedes Jahr Milliarden aus Brüssel, um Infrastruktur, Bildung und Innovation zu fördern. Doch Kritiker warnen, dass diese Gelder zunehmend in die Hände von Unternehmern gelangen, die dem Regierungschef nahestehen. Namen wie Lőrinc Mészáros oder István Tiborcz sind zu Symbolen einer neuen Elite geworden, die dank staatlicher Aufträge und „strategischer“ Projekte reich geworden ist.
Ein besonders umstrittenes Beispiel ist das Atomkraftwerk Paks II, das mit der russischen Staatsfirma Rosatom gebaut wird. Finanziert durch ein Milliardenkredit aus Moskau und unter Ausschluss der Öffentlichkeit vergeben, vertieft das Projekt die Abhängigkeit Ungarns von Russland – während die meisten EU-Länder versuchen, sich von russischer Energie zu lösen.
Gleichzeitig bezieht Ungarn weiterhin vergünstigtes Gas aus Russland und pflegt enge Kontakte zum Kreml. Orbán verteidigt diese Politik als „pragmatisch“ und notwendig, um die Energiepreise niedrig zu halten. Doch viele sehen darin eine gefährliche Annäherung an Moskau – eine, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit kostet.
Diese Doppelstrategie – Geld aus Brüssel, Energie aus Moskau – prägt die ungarische Politik. Sie erlaubt Orbán, sich im Inland als Verteidiger nationaler Interessen zu präsentieren, während er von der EU wirtschaftlich profitiert. Doch die Geduld in Brüssel schwindet. Die Europäische Kommission fordert Reformen gegen Korruption und Einschränkungen der Pressefreiheit – bisher mit wenig Erfolg.
Die Spannungen verschärften sich, als Ungarn mehrfach EU-Sanktionen gegen Russland blockierte oder verzögerte. In Brüssel gilt das Land mittlerweile als „Störfaktor“ innerhalb der Union – ein Mitgliedsstaat, der von der EU profitiert, aber ihre Werte untergräbt.
Trotz aller Kritik bleibt Orbán im eigenen Land populär. Seine Botschaft von Souveränität, Familie und Schutz der nationalen Identität kommt an – vor allem außerhalb der großen Städte. Doch die Frage bleibt: Wie lange kann Ungarn den Spagat zwischen Ost und West noch halten?
Die Zukunft des Landes wird zeigen, ob es den Weg zurück zu europäischen Grundwerten findet – oder endgültig zu Moskaus verlässlichem Partner in Mitteleuropa wird.
